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Die Vorschusslorbeeren, die Anna Funder nach „Stasiland“ und generell sowieso schon mal bei mir hat, scheinen bei „All that I am“ eher verlorene Liebesmüh zu sein. Und ehrlich: Ich habe das Buch, das es bisher nicht auf Deutsch gibt, eher aufgrund des Challenge-Ansporns zu Ende gelesen, weniger weil das Buch, seine Story oder die Figuren mich all zu sehr in den Bann gezogen hätten.

Nüchtern ist’s, was Anna Funder da von der Gruppe Widerständler erzählt, die vor den Nationalsozialisten ins Londoner Exil flüchten. Dora, die Hauptfigur, von der wir über ihre Cousine Ruth sowie aus den fiktiven Erinnerungen des Dramatikers Ernst Toller erfahren, wird auf dem Klappentext als „attraktivste fiktionale Heldin seit langem“ beschrieben. Was Ruthie und Toller jedoch abwechselnd von ihr erinnern, sind Plotversatzstücke, Meeting-Minutes. Eher im Protokollstil erfahren wir, was Dora als politisch –  im Widerstand gegen das Hitler-Regime – aktive Jüdin durchlebt, bis sie, am Ende, von eben diesem Regime gebrochen, gemordet wird. Und hier, eben im Ende, liegt tatsächlich das starke Moment des Buches: Doras Tod, der nun hier vorweg genommen ist, steht tatsächlich im Grenzgebiet von (erzwungenem) Freitod und scheinbar gut vertuschtem Mord; ihr Suizid steht vor den Augen der Öffentlichkeit da, wie eine Verzweiflungstat aus unerwiderter Liebe. Die Anstrengungen der Aktivistin werden kleingeredet, kaputtgemacht. Dass nämlich ihr Tod in Wahrheit eine Tat der Nazis war, scheint den offiziellen Stellen im Buch eine hysterische Anschuldigung der trauernden Cousine Ruthie; die Londoner Richter wollen nicht in Schwierigkeiten mit NS-Deutschland geraten, und glauben also eher an die Tat einer schwachen Frau.

Während sich im Buch die Gerichtsverhandlung abspielt, ballt man wirklich die Hände, so wütend macht die Diffamierung Doras als schwache Frau. Gott sei Dank ist Ruthies Parteinahme wie Kenntnis um ihre geliebte Cousine eindeutig, was zwar für das reale Geschehen, welches hinter dem Buch steckt, keinen Trost mehr bietet, zumindest aber die nüchtern erzählte Geschichte am Ende nicht im Doppeldeutigen stehen lässt.

Dass Ernst Toller, der Dramatiker und Freund Doras, keine rein fiktionale Figur ist, erfuhr ich während des Lesens zufällig durch einen Beitrag im Deutschlandfunk, der zwar auf Anna Funders Geschichte keinen Bezug nimmt – ihr Buch ist zu stark Fiktion und orientiert sich eher im Groben an der tatsächlichen Geschichte – dafür aber das Leben Tollers, sein Leiden und seinen Tod im NS widergibt. Eine spannende Ergänzung zu einem mittelspannendem Buch.

[Den Beginn des Buches als Audiobook zum kostenloses Anhören gibt es hier.]

 

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